Die sexy Putzfrau zieht nicht mehr
Es war einer dieser Tage, an denen Tomáš zu nichts zu gebrauchen war. Schon morgens beim Frühstück antwortete er ihr einsilbig. Als sie ihn mittags in der Firma anrief, um zu fragen, was er zum Abend essen wollte, blaffte er nur ein „egal“.
Es war einer dieser Tage, an denen Tomáš zu nichts zu gebrauchen war. Schon morgens beim Frühstück antwortete er ihr einsilbig. Als sie ihn mittags in der Firma anrief, um zu fragen, was er zum Abend essen wollte, blaffte er nur ein „egal“. Und als er abends nach dem Schnitzel schliesslich verkündete, er werde jetzt mit Honza in die Kneipe gehen– da wusste Katerina längst, dass heute Nacht nichts mehr passieren würde. Dabei hatte sie es heute so nötig wie schon lange nicht mehr. Sollte sie also selber Hand anlegen? Oder sollte sie zu Tereza fahren? Bei ihrem letzten Treffen hatte Tereza so ein verdammt enges T-Shirt angehabt, unter dem ihre kleinen harten Brustwarzen deutlich zu erkennen waren. Katerina nahm den Autoschlüssel vom Regal und fuhr los. Es war schliesslich nicht ihre Schuld, dass Tomas seine Tage hatte.
Die Geschichte von Tomas und Katerina entstammt nicht dem Drehbuch zu „Geile Hausfrauen allein zu Haus“. Sie ist die Langversion eines Werbeplakats, mit dem der Spirituosenhersteller Stock in diesen Wochen für seinen Kräuterbitter Fernet wirbt. Das Plakat zeigt zwei junge hübsche Frauen, den Kopf einander zugeneigt, die Augen in Erwartung des zweifellos gleich stattfindenden Kusses geschlossen. „Zensky at si delaj co chtej“ („Sollen die Frauen doch machen, was sie wollen“) ist über den beiden Frauenköpfen zu lesen. Das klingt liberal und irgendwie sogar emanzipatorisch. Doch das ist es bei genauerem Hinsehen nicht. Ganz offenbar handelt es sich nämlich um den resignierten Stossseufzer eines oder mehrerer Männer, deren Frauen sexuell so unersättlich sind, dass sie den Kneipenbesuch ihrer Männer nicht etwa dazu nutzen, ins Kino, zum Friseur oder ebenfalls in eine Kneipe zu gehen, nein: Diese Frauen geben an diesem Abend einem Trieb nach, den sie die ganze Zeit nur mühsam unterdrücken – sie haben Sex mit einer anderen Frau.
„Diese Reklame bedient die typischen sexuellen Phantasien von Männern, die gerne zuschauen, wenn zwei Frauen miteinander Sex haben “, sagt Petra Kubálková von der gemeinnützigen Gesellschaft „Otevřená společnost“ deshalb. „Und das ist absolut sexistisch.“
Dieser Vorwurf trifft keineswegs nur auf die aktuellen Fernet-Plakate zu. Egal, ob für Bohrmaschinen, Autos oder Körperlotion geworben wird - in Tschechien, aber auch in Deutschland, Österreich oder Frankreich sind Frauen in der Werbung noch immer häufig als Objekt männlicher Sex-Fantasien und fast immer in denselben klischeehaften Rollen zu sehen. Wütende Protestdemonstrationen unter den Fenstern der Werbeagenturen können sich die Frauen von Paris bis Wien trotzdem sparen. Denn wenn wir den Marketingexperten glauben dürfen, wird sexistische Werbung bald von selbst verschwinden – und das nicht aus Gründen der political correctness. Sondern weil sie sich ökonomisch nicht mehr auszahlt.
Mutter, Model, Hure
Dass Marketingstrategen in Zukunft schaffen sollen, was vierzige Jahre Frauenbewegung nicht vermocht haben – diese Behauptung klingt zunächst einigermassen absurd. Denn das Verhältnis zwischen Werbung und Gesellschaft ist gerade nicht revolutionär, sondern im Gegenteil, hoch affirmativ. „Werbung will die Gesellschaft nicht verändern“, sagt Jiři Janoušek, Geschäftsführer der „Assoziation der Kommunikationsagenturen“ in Prag. „Werbung bildet in der Regel nur ab, was sie in der Gesellschaft vorfindet.“ In einer Gesellschaft, in der die meisten Männer nicht einmal wissen, wie die Waschmaschine zu bedienen ist, werde die Super-Waschkraft eines Waschmittels deshalb also in aller Regel von Frauen gepriesen „Nur selten wagt ein Hersteller, in einem Werbespot einen gesellschaftlichen Trend aufzugreifen, der sich erst allmählich am Horizont abzeichnet.“ Ganz ähnlich sieht das Alex Niemenen, Mitarbeiter der Agentur „Laundry“ im finnischen Helsinky. „Marketing ist nicht der Ort, an dem Fragen nach der Rolle der Frau, dem Feminismus, dem Geschlechterverhältnis problematisiert oder gelöst werden“, sagt er. „Das Ziel der Werbung besteht ausschliesslich darin, die Konsumenten zum Kauf zu animieren und sie dazu zu bewegen, eine bestimmte Marke zu bevorzugen.“
Identitifkation heisst das Zauberwort jeder erfolgreichen Werbekampagne– und dass Frauen hierbei eine zentrale Rolle spielen, weiss jeder, der die Werbepause im Fernsehen nicht grundsätzlich zum Pinkeln nutzt. Da schmieren glücklich strahlende Mütter ganz entspannt Butterbrote für ihre glücklich strahlenden Kinder, glatthäutige Zwanzigjährige verraten uns das kosmetische Geheimnis nie endender Jugend - und Männer, die ein Auto der Marke X oder ein alkoholisches Getränk der Marke Y kaufen, werden, so suggeriert die Reklame, kein Problem mehr damit haben, jede vollbusige Sexbombe für sich zu gewinnen. Dass die immer gut gelaunte Mutter und die immer verführerisch aussehende Schönheit mit der Realität so viel zu tun hat wie Jara Cimrman mit dem grössten Tschechen aller Zeiten, stört die Werbemacher nicht. Und das ist auch keineswegs erstaunlich. Denn gegen die klischeehafte Mutter-Model-Huren-Reklame regt sich hierzulande noch nicht einmal grosser Protest.
Feminismus ist gegen die Natur
Von den 69 Beschwerden, die in diesem Jahr beim Tschechischen Reklamerat eingegangen sind, bezog sich nur eine einzige auf die Kategorie „Sexismus/ Frau in der Reklame“ (2006 waren es 10 von 68 Beschwerden, im Jahr davor 9 von 71). Damit liegt Tschechien deutlich hinter Deutschland (2006: 201 von 1116 Beschwerden), wo Kritik am sexistischen Inhalt von Reklame die Weberäte so stark beschäftigt wie kein anderes Thema (in Tschechien liegt der Schwerpunkt auf Verbraucherschutz und irreführender Werbung). Nur vier der insgesamt 20 Beschwerden über Sexismus wurden von der Schiedskommission in den letzten drei Jahren als berechtigt eingestuft. Die Erklärung für die geringe Zahl an Beschwerden und die noch geringere Zahl an Rügen lautet immer gleich.
„Einerseits“, meint etwa die Marketing-Expertin Jitka Vysekalova,„sind die Tschechen gegenüber der öffentlichen Darstellung sexueller Motive ausserordentlich tolerant.“„Zugleich“, ergänzt Tomáš Jindřišek, Division Direktor bei der international operierenden Werbeagentur Ogilvy, „haben die tschechischen Frauen keine Vorstellung devon, wie alternative Rollenmodelle aussehen könnten. In Tschechien herrscht immer noch das Klischee vor, dass Feminismus gegen die Natur gehe und dass er nur zu jenen extremem Übertreibungen führt, die er angeblich in den USA bewirkt hat.“ Selbst die Frauenorganisation „Žába na prameni“ , die seit 2006 jährlich einen Negativ-Preis für Sexismus in der öffentlichen Sprache vergibt, hat angesichts der Übermacht sexistischer Werbung in Tschechien die Waffen gestreckt. „Wir haben den Wettbewerb in der Kategorie Werbung gleich wieder eingestellt“, sagt Dana Radova, die Leiterin von „Zaba na prameni“. „Es waren einfach zu viele Nominierungen – und letzten Endes war auch unklar, ob der Preis dann eher an die Marketingabteilung der Herstellerfirma oder an die Werbeagentur gehen sollte.“
Harte Zahlen statt weicher Moral
Der Druck auf die Werbeagenturen und Marketingabteilungen ist in Tschechien also denkbar gering – und das hat fatale Folgen. Denn die Werbung ist nicht nur ein Abbild der Gesellschaft. „Werbung wirkt auch auf die Gesellschaft zurück“, sagt Tomáš Jindřišek von Ogilvy. Nirgends ist dieses Phänomen so deutlich zu beobachten wie im Hinblick auf den Schlankheitswahn, den die Modewerbung in allen westlichen Gesellschaften der Welt propagiert. Der steile Anstieg der Anorexie- und Bulimieerkrankungen hat dazu geführt, dass sich die Modehersteller in jüngster Zeit bemüht haben, allzu dünne Rollenvorbilder vom Laufsteg fernzuhalten. Und die Kampagne für die Körperflegserie „Dove“, für die Ogilvy keine Models sondern ganz normale Frauen mit ganz normalen Figuren vor die Kamera holte, hat international für viel positives Aufsehen gesorgt. Die Frage hingegen, ob kleine Jungs gute Väter werden, wenn sie im Fernsehen immer nur Frauen wickeln, füttern und mit Kindern spielen sehen, wartet zumindest in Tschechien noch auf eine entsprechende Debatte. „Die Leute in den Marketingabteilungen und Werbeagenturen haben schon eine grosse Verantwortung“, sagt Tomas Jindřišek. „Man sollte sich schon von Zeit zu Zeit fragen, ob man noch ein reines Gewissen hat.“ Nur: Moral, Gewissen oder Verantwortung zählen relativ wenig, solange die Verkaufszahlen stimmen. Der einzige wirkliche Grund, warum Firmen auf sexistische Werbung verzichten könnten, wäre deshalb, dass diese Art von Reklame nicht mehr erfolgreich ist. Und eben dies sagen Marketingexperten für die nahe Zukunft voraus.
„Die gesamte Werbebranche befindet sich in einer tiefgreifenden Krise“, sagt Alex Niemenen von „Laundry“ in Helsinki. „Zum einen ertrinken die Leute geradezu in Informations- und Unterhaltungsangeboten.“ Jeden Tag werden weltweit 1000 Bücher veröffentlicht. 123 Millionen Stunden Fernsehangebote konkurrieren um die Aufmerksamkeit der Zuschauer. ein Die meisten Kunden reagieren deshalb zunehmend allergisch auf Werbung. „Der zweite Grund ist, dass die Leute durch die vielen Informationen, die sie aus dem Internet bekommen, ein ganz anderes, sehr individuelles Kaufverhalten entwickeln“, sagt Niemenen. „Durch normale TV-Spots, Plakate oder Anzeigen sind diese Verbraucher nicht mehr so einfach zu erreichen. Wir brauchen also ganz neue Werbeinstrumente.“ Um die Aufmerksamkeit der Kunden zu erregen, wird in Zukunft nicht nur das Marketing, sondern auch die Produktentwicklung noch individueller auf die Wünsche und Bedürfnisse einzelner Kundengruppen eingehen und sehr viel direkter mit den Kunden kommunizieren müssen. „Ein gutes Beispiel dafür ist der Computerhersteller Dell“, sagt Niemenen. „Auf deren internationaler Internetseite darf jeder seine Kommentare oder Vorschläge zur Diskussion stellen, die anderen stimmen darüber ab – und die beliebtesten werden dann von der Firma in neue Produkte umgesetzt.“ Und welche Konsequenzen hat diese neue Form des Marketings für die sexistische Werbung?
Was gekauft wird, entscheiden Frauen
„Frauen sind als Zielgruppe für die Werbebranche sehr viel interessanter als Männer“, sagt Diana Jaffé, Vorstandvorsitzende des Beratungs- und Marketingunternehmens Bluestone AG in Berlin. Unter dem Stichwort „Gender-„ oder besser gesagt „SexMarketing“ klärt die Marketingexpertin Firmen darüber auf, wie man als Unternehmen gezielt Frauen, oder eben Männer anspricht - und das aus einem einfachen Grund: „80 Prozent aller Kaufentscheidungen werden von Frauen getroffen“, sagt Diana Jaffé. „Zum einen verfügen Frauen aufgrund ihrer immer besseren Bildung über immer mehr Einkommen und Kaufkraft. Zum anderen kaufen Frauen nicht nur für sich ein, sondern auch für ihre Männer, ihre Kinder, die Freunde der Familie. Frauen empfehlen einander gegenseitig häufig, was sie kaufen sollen. Und Frauen sind einer Marke, mit der sie zufrieden sind, extrem treu. Aus Sicht des Marketings wäre es also geradezu dumm, dieses Potential nicht zu nutzen.“ Und so geht auch die sexistische Werbung ihrem Ende entgegen.
Es darf nämlich als rundweg ausgeschlossen gelten, dass Frauen, die von der Industrie direkt um ihre Meinung gebeten werden, Werbung wählen, die mit ihnen und ihrem Selbstbild nicht das geringste zu tun hat. Frauen wollen weder ständig mit unerreichbaren Schönheitsidealen konfrontiert werden, noch sich mit dem Heimchen am Herd identifizieren. „Frauen wollen auch keine Produkte, die sich von den Produkten für Männer nur dadurch unterscheiden, das sie rosa sind oder weich oder flauschig sind. Sie wollen auch kein Bier mit Himbeergeschmack. Sie wollen Produkte, die ihren individuellen Wünschen und ihren Bedürfnissen entsprechen“, sagt Alex Niemenen aus Helsinki. Und tatsächlich scheint es, als seien die ersten Schwalben dieses Gender-Marketings auch in Tschechien angekommen.
Der Autohersteller Toyota wirbt in diesen Wochen für eine Sonderausgabe des Models Toyota Aygo, das nicht nur in Tschechien, sondern auch in der Slowakei, in Österreich und in Deutschland angeboten wird. Und obwohl es sich um dasselbe Modell handelt, könnten die Werbestrategien kaum unterschiedlicher sein. In Deutschland läuft der Wagen unter dem Namen „CKIN2U“, in Österreich heisst er seiner Farbe wegen „Champagne“. In beiden Ländern hebt der Text auf der Internetseite ab auf das Design, die Dynamik, das Sicherheitspaket und den sparsamen Benzinverbrauch, der das Auto umweltfreundlich mache. Die Prager Zentrale von Toyota hingegen präsentiert das Auto nicht in einem realistischen Umfeld, sondern erweckt den Anschein, als handele es sich bei dem Auto um ein neues Haustier: „Mazlík“, „Liebling“ steht über dem tschechischen, „Miláčík“ über dem slowakischen Modell. Rund um das Auto hat eine offenbar weibliche Hand in Schreibschrift vermerkt, wie die einzelnen Teile des Autos heissen: An den Scheinwerfern steht also „očičky“ (Äugelein), an der Kofferraumklappe „zádeček“ (Po-chen) , die Räder sind die „nožičky“ (Beinchen) und die vordere Stossstange ist die „pusinka“ (Schnäuzchen). Der Text auf der ersten Seite preist vor allem die Luxus-Ausstattung des Autos, von Verbrauch, Dynamik oder Umweltverträglichkeit kein Wort.
Mein kleiner süsser Po
„Auf dem tschechischen Markt zielt dieses Auto vor allem auf Frauen zwischen 20 und 30 ab“, erklärt Pavel Zákora, der als Marketing Manager für die Mazlík-Kampagne zuständig ist. „Dabei sind wir devon ausgegangen, wie Frauen wohl über ihr erstes Auto sprechen würden“, sagt er. „Natürlich ist der Name Mazlik bewusst übertrieben. Und es gab bei uns in der Firma auch Männer, die meinten, die Reklame würde Frauen im Hinblick auf das Auto allzu kindlich erscheinen lassen. Aber dann haben wir über zwanzig Frauen mit Hochschulabschluss gefragt, ob sie sich durch die Kampagne beleidigt fühlen – und keine einzige fand die Reklame doof.“
Den Internetzugriffen auf die Mazlik-Seite nach zu urteilen, sei die Kampagne bislang ein Erfolg, sagt Zakora. Und Diana Jaffé würde eine solche Kampagne für den deutschen Markt vielleicht nicht empfehlen, hat prinzipiell aber nichts gegen die Mazlik-Seite einzuwenden. „Nur wenige Frauen interessieren sich wirklich für die technischen Details eines Autos“, sagt sie. „Und wenn tschechische Frauen wirklich so emotional an Autos herangehen, wenn sie sich durch die Reklame nicht schlecht behandelt fühlen - dann ist das doch völlig in Ordnung.“
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