Sie sind keine begeisterten Parteimitglieder, doch keine anständigen Wahlen kommen ohne sie aus. Sie sind bereit, bis zum Umfallen für ihre eigene Überzeugung zu arbeiten. Diese eigenartige Gruppe von Menschen, welche sich schlicht als Freiwillige bezeichnen lassen, erbringen beispielsweise in der Wahlkampagne in den Vereinigten Staaten für ihren Kandidaten eine unglaubliche Arbeitsleistung. Doch wie sieht dies in Ländern aus, wo sich ein jeder zum Politiküberdruss bekennt? Finden sich auch bei uns Leute ohne Parteiausweis, die bereit sind sich für die Partei zu schlagen, die ihnen nahesteht? Und wie nutzen die tschechischen politischen Parteien ihren Elan aus?
Motor der Kampagne
„Ich war total fasziniert. Ein ganzes gemietetes Hotelstockwerk füllten hunderte von Freiwilligen mit Handys. Sie setzten sich auf den Boden und telefonierten auf eigene Rechnung und bis zum Umfallen für Stunden überallhin und überzeugten geduldig unentschlossene Wähler“, erinnert sich der Wahlmanager der Partei der tschechischen Grünen René Kubášek an seine Erfahrungen während eines Dienstbesuchs in den USA. Die Wahlkampagne von Barack Obama erreichte gerade ihren Höhepunkt und der erwähnte Vorfall hatte seinen Anteil am Resultat. Für René Kubášek war dies darüber hinaus eine doppelte Entdeckung: Es bestätigte sich, dass Leute ausserhalb jeglicher Organisation fähig zum politischen Engagement sind und dass die Politiker diese Energie ausgezeichnet ausschöpfen können.
Deshalb wurde auf der Webseite der tschechischen Grünen letzten Sommer eine spezielle Seite angelegt, als „informelle Plattform“ für die wechselseitige Kommunikation mit der sympathisierenden Öffentlichkeit, genannt wird sie schlicht „Grünes Netz“. Durch ihre Vermittlung können sich die „grünen Sympathisanten“ untereinander verbinden und darüber diskutieren, was sie für ihre Lieblingspartei tun können. „Dies hilft uns wesentlich“, so Kubášek. Zu den Freiwilligen kann dieses Jahr zum Beispiel die Regisseurin Olga Sommerová gezählt werden, die gratis Wahlspots gefilmt hat, an einer ähnlichen Kampagne arbeitet beispielsweise der Designer Maxim Velčovský mit.
Die Internetplattform wurde bis jetzt von ungefähr fünf Hundert überwiegend jungen Leuten genutzt. „Eine Reihe von Freiwilligen rekrutiert sich aus dem Umfeld der Umweltschützer, es melden sich aber auch Künstler und Unternehmer. Es geht darum, sich mit ihnen persönlich zu treffen und zusammen zu diskutieren, wie sich unsere Wünsche nicht nur mit ihren zeitlichen Möglichkeiten verbinden lassen, sondern auch wie ihre Ideen und Fähigkeiten sinnvoll genutzt werden können“, erklärt Kubášek.
Der Neuling auf der tschechischen Politbühne, die Partei TOP 09, schätzt, dass „ihre“ Freiwilligen (die Onlinedatenbank zählt angeblich 4900 potentielle Freiwillige) bis zu 20 Prozent der oft anstrengenden und langweiligen Parteiarbeit liefern. Es handelt sich dabei zum Beispiel um das Verteilen von einer halben Million Flugblätter (womit grob 150 Tausend Kronen für die Postverteilung eingespart werden können). „Wir entwarfen 18 Möglichkeiten, wie man uns einfach helfen kann, indem man beispielsweise Plakate ins Fenster seines Haushalts oder Aufkleber an das Auto anbringt. Für uns ist es jedoch ebenfalls wichtig, dass diese Leute bereit zur Diskussion mit uns sind und ihre kritischen Einwände formulieren“, sagt Jaroslav Poláček, der Wahlmanager der TOP 09.
Freiwillige einzusetzen bemühen sich alle, und der erfolgreichste Jäger sind dabei in Tschechien offensichtlich die Bürgerdemokraten (ODS). In die Reihen des im letzten Sommer speziell aufgebauten „Modrý tým“ (Blaues Team) haben sich bereits an die sieben Tausend Bürger gemeldet. Die Sozialdemokraten wiederum benutzen zur geringfügigen Freiwilligen-Aushilfe primär ihre Plattform der Jungen Sozialdemokraten, welche 1200 Mitglieder zählt, während der Wahlen wird in der Regel mit einem Hundert ausserparteilichen Freiwilligen gerechnet.
Nur ein paar Schritte
Nur mit dem Aufkleben von Plakaten und dem Einwerfen der Flyer in die Briefkästen ist es aber nicht getan. Wichtig ist auch die Mithilfe bei der Durchführung von Meetings oder die Überzeugung seiner Freunde, weshalb sie ausgerechnet diese und nicht eine anderer Partei wählen sollen. Eine weitere Möglichkeit ist das Anbringen von Logos oder eines spritzigen Wahlmottos auf der persönlichen Homepage der Sympathisanten. „Es geschah auch, dass Leute mit dem Angebot kamen, Wahlplakate an ihrem Haus aufzuhängen. Ein professioneller Reklamephotograph dokumentiert unsere Aktionen und die Wahlslogans und -parolen besprechen wir mit einem Verwandten, der Marketingberater ist. Sie alle machen dies ohne Honoraranspruch. Dies ist eine äusserst ermunternde Tatsache“, veranschaulicht René Kubášek. „Eine Gruppe begeisterter Leute ist kurz gesagt das Beste, was man überhaupt haben kann“, ergänzt der Wahlmanager der TOP 09 Jaroslav Poláček.
Keinerlei finanzielle Entschädigung erwartet auch die Wahlhelferin Kateřina Husová. Sie hat sich vor einigen Tagen primär deshalb bei den Grünen angemeldet, weil wir schon „keine Revolution“ mehr erwarten und den Politiküberdruss nur mit täglicher „geduldiger und kleinstückiger Arbeit“ überwinden können. Sie ist 26 Jahre alt, arbeitet als Sekretärin bei der Europäischen Wandervereinigung. „Ich will kein Parteimitglied sein, das kommt vielleicht später“, sagt sie lakonisch. Ihre erste Aufgabe von der Partei war es, passende Kultur- oder Sportanlässe auszusuchen, wo die Grünen sich auf irgendeine Weise präsentieren könnten. „Daneben soll ich Orte suchen in meiner Umgebung, wo sich Wahlplakate aufhängen oder aufkleben lassen würden. Das gefällt mir. Ich will nicht nur dasitzen und schimpfen, ich muss selbst zu irgendeiner Veränderung beitragen“, glaubt Kateřina Husová. Interessant findet sein Gratisengagement auch der frischgebackene Marketingberater, der 23-jährige Tomáš Grombíř. „Ein jeder hat bei den Wahlen eine Stimme und ich fasse meinen Freiwilligendienst als Methode auf, wie ich genau dieser meiner Stimme das grösstmögliche Gewicht geben kann“, ergänzt er seine Motivation als Helfer.
Für den 26-jährigen Computergrafiker und Freiwilliger bei der ODS Jiří Danihelka aus Strakonice wiederum lag die Inspiration in den Erzählungen seines um 20 Jahre älteren Arbeitskollegen. „Es bestürzte mich, welche Anstrengungen seine Generation den Erinnerungen zufolge für den Aufbau der neuerlangten Freiheit aufwenden musste. Ich wäre froh, wenn diese auch die nächste Generation in Ruhe geniessen könnte“, sagt Danihelka.
Und wie sieht Martina Sladká (27) aus dem Tausendseelendörfchen Jiříkovec bei Brno ihr freiwilliges politisches Engagement für die TOP 09? „Ich trage für unsere Zukunft persönlich Mitverantwortung. Ich will weder eine rosa Brille aufgesetzt bekommen noch in einer Boulevard-Welt leben. Diese Paar Schritte mit den Flyern durch das Dorf sind es mir ganz bestimmt wert“, betont Martina Sladká.
Mit dem Fürsten auf das Schloss Orlík
Der jüngste Freiwillige aus den Reihen der ODS ist 15 Jahre alt, der älteste um die Achzig. Die meisten von ihnen sind in Prag und dann in allen traditionell starken Wahlkreisen der ODS - Schlesien und Südmähren. „Dies sind unsere Sympathisanten, die dies zu erkennen geben möchten, ohne in die Partei einzutreten“, so der Wahlmanager Petr Mach. Wie die Grünen benutzen auch sie „ihre Leute“ für den Organisationsdienst bei Meetings oder für das Aufhängen und Verteilen von Flyern. Laut dem Vorsitzenden der Jungen Sozialdemokraten Petr Dolinek führen die Freiwilligen für seine Partei Sportturniere und kleine Kulturveranstaltungen durch, räumen im Naturpark Divoká Šárka auf oder organisieren sogenannte Kindertage, verteilen Pfannkuchen, orange Rosen und Luftballons an den Metrostationen.
Die Freiwilligen können Eigeninitiative bezeugen, indem sie zum Beispiel an einem Ort in ihrer Siedlung ein Miniteam gründen. „Dort finden dann kleine Diskussionskreise statt oder fordern die Freiwilligen die Schüler der örtlichen Schulen dazu auf, die Wahlen nicht zu verpassen“, beschreibt Petr Mach, Wahlmanager der ODS. Selbst hat er dies als ehemaliger Politologiestudent und grosser Fan der örtlichen Konservativen erlebt. Für die Freiwilligen ist so etwas nicht nur Spass und Abenteuer, sondern vielmehr eine Gelegenheit, sich mit interessanten Leuten zu treffen und seine Idole hautnah kennen zu lernen. „Wir achten unsere Freiwilligen: regelmässig organisieren wir exklusive Treffen mit den wichtigsten Köpfen der ODS, mit ihnen kann man dann diskutieren worüber man will. Wir laden die Freiwilligen auch an den Kongress der ODS ein. Materiell bekommen sie jedoch höchstens ein T-Shirt der ODS.“ Die TOP 09 konkurriert übrigens bei den Freiwilligen mit der Chance, bei einer Verlosung eine Besichtigung des Schlosses Orlík mit dem Leader Karel Schwarzenberg zu gewinnen.
Článek z českého originálu Udělám to zadarmo (Respekt 14/2010) přeložila Christine Bertschi.
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